Heute morgen bin ich in einem fancy Ein-Zimmer-Penthaus-Apartment eines Minimalisten aufgewacht, der sein Geld lieber in zwei Flugtickets nach Kuba steckt, statt in Möbel und mehr Besitz. Nun sitze ich in einem überfüllten Zug zwischen Darmstadt und Mainz auf der Treppe vor einem beinahe leeren 1. Klasse Abteil, lasse mich von der Abendsonne blenden und denke über die ereignisreiche Zeit nach, die ich gerade erlebe. Auf meinen Kopfhörern läuft Home von Benny Tones feat. Joe Dukie.

Das treibende Klopfen erinnert mich an Zug-Fahren; Gitarre und Gesang an die Entspannung, die mich manchmal überwältigt, wenn ich völlig abgehetzt die ersten 5 Minuten im ICE durchatme. Schwerer Rucksack auf dem Rücken, Rollbrett unter den Füßen, Bus verpasst, ICE trotzdem bekommen... »Alle Last schmilzt von den Schultern, wie warmes Wachs.«

Meine Situation:

Ich habe keinen festen Wohnsitz

Die Adresse auf meinem Perso, habe ich vor etwa drei Wochen zuletzt besucht. Vor knapp fünf Monaten bin ich aus meiner bisherigen Wohnung ausgezogen. Seither suche ich nach einer neuen Wohnung in Mainz, wenn ich mal dort bin. Seit dem das so ist, werde ich ständig nach dem aktuellen Stand gefragt. Manchmal, wenn Menschen etwas bestimmtes von mir erwarten, neige ich dazu es nicht zu tun. Diese Tatsache, verbunden mit dem wissen, dass unheimlich viele Digital-Nomaden sehr glücklich mit ihrem Leben sind, bringt mich zu der Frage: Kann ich mich mit dem aktuellen Stand (wohnungslos zu sein) vielleicht sogar anfreunden?

Was sich verändert hat, seit ich meine Wohnung gekündigt habe

Ich verbringe viel Zeit in Zügen. Meistens schlafe ich bei Familie & Freunden, manchmal im Hotel, manchmal im Hostel, manchmal bei Freunden von Freunden. In einer Woche sind das durchschnittlich zwei bis vier verschiedene Matratzen/Couches. Ich bin ständig unterwegs. Ich fühle mich wie auf einer langen Reise. Sie ist anstrengend, aber sie beginnt mir spaß zu machen. Ich optimiere meine Pack-Gewohnheiten, meinen Rucksack und meine Ordnung. Ich scanne wieder Dokumente weg und verkaufe wieder Besitz, damit mein Rucksack leichter wird. Ich fühle mich wie ein Pro und mental endlich wieder wacher, auch wenn Körper müder ist. Aber mein Besitz wird langsam aber sicher wieder übersichtlich. Und ich liebe dieses Gefühl zu wissen, was ich besitze.

...ich schaue aus dem Zug-Fenster auf die nächtliche Skyline von FFM und auf den Kopfhörern läuft Baltimore von Nina Simone. Ungemütlicher Text, unfassbar gemütliche Musik.

Aber bei Familie und Freunden schlafen ist keine Dauerlösung. Oft fühle ich mich wie eine Belastung für meine Hosts, auch wenn das nie jemand ausgesprochen hat – im Gegenteil. Vielleicht liege ich ja auch falsch, aber das Gefühl ist da. Andere freuen sich auch ohne Einschränkung über meinen Besuch – ist in dem Falle also eine sogenannte Win-Win Situation. Win-Win-Kandidaten wohnen leider nicht immer in erreichbarer Nähe zum Büro in das ich auch weiterhin an drei Tagen in der Woche gehe(n will). Ich bin also gewissermaßen an Hessen gebunden.

Da wären wir bei einer wichtigen Erkenntnis, die meine Idee als Digital-Nomade zu leben einschränkt:

Wie andere Nomaden in Thailand mit Laptop und Smoothie am Strand sitzen, ist für mich nicht drin. Ich brauche eine feste Bürogemeinschaft. Und diese sollte nicht, wie in meiner Branche oft üblich, Projekt-Basiert sein. Es muss nicht vollzeit sein, aber sie ist wichtig für mich. Mein fester Kollegenkreis und die Routine ist eine der wenigen stabilen, sozialen Komponenten in meinem Leben. Das ist mir wichtig. Mein Leben fühlt sich freischwebend an – da brauche ich einen Ausgleich.

Wie auch immer... ich beginne zu kalkulieren, wie oft man in Hotels, Hostels und AirBnB‘s unterkommt, wenn man keine Miete zahlt. Finanziell lohnen wird es sich sicher nicht. Aber den Gedanken finde ich interessant. Wenn da nur nicht diese liebe Freundin wäre, die sich auf unser Zusammenleben in Mainz genauso freut wie ich. Ich stecke in einer Zwickmühle ...aber beide Lebenssituationen werden mich glücklich machen. Es kann also nur gut werden und ausserdem sind in Entscheidungen auch Mischfarben erlaubt.

Draussen ist es Nachtschwarz. Ich höre zum Ausklang Sanación von Nicola Cruz.

Bald liege ich auf einem Sofa auf dem ich noch nie lag. 'bin gespannt wie es sich dort so schläft...