Ich bin durch Zufall auf einem etwas abgelegenen Bereich des Internet auf eine Gießen-Hommage gestoßen. Eine sehr stimmige und beeindruckendste Beschreibung meiner Heimatstadt.

Der Folgende Text ist also ausdrücklich nicht von mir. Der Text stammt von "Ashigaru" aus Gießen. Mehr konnte ich über den Author leider nicht herausfinden. Wenn jemand mehr weiß, bitte info's an mich.


Gießen – die „potthässliche“, aber eigentlich zumindest manchmal ganz sympathische Stadt an der Lahn

„Die Stadt ist abscheulich ... eine hohle Mittelmäßigkeit in allem“ – so urteilte einst der berühmteste Sohn der Stadt, der Schriftsteller Georg Büchner, über Gießen. In der Tat scheint es schwierig, Gießen zu lieben. Die Unwohnlichkeit des Ortes zieht sich durch die Jahrhunderte. Neue Ausgrabungen am Gießener Marktplatz ergaben, dass die Keimzelle der Stadt im Hochwassergebiet der Lahn lag, und nicht umsonst heißen die Bewohner Gießens in ihrem Spitznamen die „Schlammbeißer.“

Aus ästhetischer Sicht haben die Nachbarstädte Wetzlar und Marburg mit ihrem Dom, ihrem Landgrafenschloss, ihrer Elisabethkirche mehr zu bieten, obwohl sie wirtschaftlich und politisch von Gießen überholt werden. Dagegen eignet sich das funktionale Gießen – jeder scheint dort zu arbeiten oder zu studieren, niemand aus freiem Willen dort zu wohnen – weswegen es zum Teil eine abwegige Idee ist, die Stadt als Ausflugsziel auszuwählen.

Ein Rundgang durch Giessen muss unbedingt am „Elefantenklo“ beginnen. Bezeichnend, dass ein solch profanes Bauwerk zum heimlichen Wahrzeichen der Stadt wurde: Eigentlich handelt es sich um eine riesige Fußgänger-Überbrückung des Anlagenrings. Zwei oktagonförmige, 3 bis 4 Meter breite Löcher, die einen unspektakulären Ausblick auf den darunter fließenden Verkehr bieten. In den 90er Jahren planten die Geschäftsleute einmal, das Ding abzureißen. Da lagen sie falsch, die Gießener hatten die Anlage längst lieb gewonnen. Leider steht dieses Wahrzeichen auch für die furchtbaren Wunden, die der Bombenkrieg in die Stadt geschlagen hatte. Dort wo sich der abgrundtief hässliche, erdbraune, riesige, bunkerartige Betonbau des Karstadt erhebt, standen einst schöne Jugendstilhäuser mit Erkerchen und Türmchen.

Vom Elefantenklo setze man den Weg in den Seltersweg fort, die Fußgängerzone und zentrale Achse in der Gießener Innenstadt. An deren Südseite finden sich – hübsch restauriert – noch einige Häuser, die die Bombenangriffe überstanden. Viel interessanter sind jedoch einige weitere „Wahrzeichen“, die hier zu finden ist. Jeder Giessener kennt Holger, den Schildermann. Sporadisch trägt er an einem langen Stab befestigte Schilder mit religiös-mystischen Pamphleten vor sich hier – der „simple“ religiöse Pietismus früherer Jahre wurde bald durch seinen Glauben an Zahlenmystik und Außerirdische ersetzt und mündet heute in der Erkenntnis des Mannes, dass er selbst Göttlichkeit in sich trägt.

Und schon gehts weiter zum nächsten Denkmal – wie ich finde, einem besonders schönen und originellen. Ich weiß nicht genau, wer auf die Idee kam, Menschengruppen in einem Denkmal zu verewigen, die sich auf dem Markt noch ein kurzes Gerücht zustecken. Auf jeden Fall ist genau dass der Sinn der „drei Schwätzer“ – Skulpturen unglaublich dicker Leute, zwei Männer und einer Frau aus Metall-Vollguss, was sie noch wuchtiger wirken lässt. Die Posen sind sehr gut wiedergegeben, die Frau wendet im Gehen den Kopf, ein Mann stemmt protzig die Hände in die Hüften. Bei Wind und Wetter erzählen sie sich seit den 80er Jahren den neuesten Klatsch und Tratsch. Ich machte mir als Kind einen Spass draus, meine Hand auf das ausladende Hinterteil der alten Schwätzerin klatschen zu lassen, was einen schönen, volltönenden Klang ergab. Nur ein paar Schritte weiter der uninspirierte „Kugelbrunnen“, aufgetürmte Betonmurmeln, der ohnehin so gut wie nie sprudelt und daher außer acht gelassen werden kann.

Rechts des Kugelbrunnens liegt ein schön wiederher gerichtetes, neuzeitliches Fachwerkhaus: Das Gasthaus „Zum Löwen“. Hier speiste mehrfach Goethe, als er in Wetzlar lebte. Heute gibts seit vielen Jahren dort überteuerte Pizza.

Langsam nähert man sich der alten Keimzelle der Stadt. Der unspektakuläre Marktplatz ist zu einem bedeutenden Nichts verkommen – er dient als riesige Busstation, in dem alle Linien der Stadt zusammen laufen. Alles historische, darunter das Rathaus aus dem 15. Jahrhundert, das einmal hier stand, wurde sowieso im Krieg zerstört. Dennoch beginnt hier ein Straßenkarre, in dem sich die letzten Reste des „alten“ Gießen bewahrt haben.

Zunächst wäre der Stadtkirchenturm zu nennen. Dazu gehörte eine Kirche – die, langsam erahnt man es, im Krieg zerstört wurde. Etwas versteckt hinter dem Turm liegen einige interessante Bauten. Immer am vor der Tür geparkten Polizeiauto das jüdische Gemeindezentrum zu erkennen (??). Wie in vielen anderen Orten, ist die Gemeinde durch Einwanderer aus Osteuropa stark angewachsen. Das Zentrum entstand in den frühen 90er Jahren. Äußerlich ein nichtssagender Bau, enthält es im Inneren ein interessantes „Extra“: In den Bau wurde die Synagoge von Niederweimar (Kreis Marburg) integriert – der kleine Raum aus dem 19. Jahrhundert dürfte eine der letzten erhaltenen hessischen Dorfsynagogen sein.

Etwas näher an der Stadtkirche liegen das Wallenfelssche Haus und das Burgmannenhaus. Wenn man letzteres sieht, wird man plötzlich gewahr, dass es in Gießen eigentlich keine der für hessisches so typische Fachwerkhäuser gibt – bis eben auf dieses und einige wenige weitere Ausnahmen. Und dass liegt wieder mal an den Zerstör... In den beiden Häusern befinden sich Abteilungen des Oberhessischen Museums. Insbesondere die vor- und frühgeschichtlichen Funde befinden sich hier – vor allem Gefäße und Metallfunde aus der Bronze- bis Eisenzeit. Die Höhepunkte sind aber diverse Funde, die aus Unternehmungen der Universität hierher geraten sind, darunter Mumien aus Äthiopien und Schrumpfköpfe aus dem Amazonasgebiet. Dennoch – dass Museum wirkt etwas verschnarcht. Es gibt nicht die Punktstrahler und die erklärenden Tafeln und die Kopfhörer, die einem auf Knopfdruck ein Referat vorspulen. Es ist ein bißchen wie in den 60ern, in der Vitrine liegen Radnadeln aus der Bronzezeit, dann klärt einen ein Zettel auf: Radnadeln – Bronzezeit – Fundort. Lich.

Dafür kostet der Museums-Besuch aber auch nichts. Am interessantesten ist aber der Raum zur Stadtgeschichte. Dort steht ein Modell, und da sieht man sie – die Straßen des alten Gießen, vor jener Nacht im Dezember 1944, ohne Elefantenklo, Karstadt und andere Betonklötze. Wer da allzuviel erwartet, den erinnere ich allerdings nochmal an das Büchner-Zitat...


Nachtrag

Die Geschichte mit dem Versuch das Elefantenklo abzureissen, was durch die Einwohner Gießens verhindert wurde, hat sich übrigens nach 2000 noch einmal wiederholt. Und ein Gefühl dafür, wie der Gießener Marktplatz mal ausgesehen hat, bekommt man im Hessenpark. Auf dessen Marktplatz steht eine Häuserreihe, die früher exakt so in Gießens Zentrum stand.

Und jetzt habe ich eine Frage an die Gießener unter euch:
Welche Orte hätte der Autor besuchen sollen um einen positiveren Eindruck von Gießen zu bekommen? Schreibts in die Kommentare!

Ich fange schon mal an:

  • Mathematikum
  • Gutburgerlich
  • Schwanenteich (vor der Landesgartenschau)