Ich steige nach zwei Stunden Fahrt aus dem Zug in die Nacht, stehe auf dem Bahnsteig und suche in routinierter Verzweieflung meinen Auto-Schlüssel während sich das Gewusel der Menschen lichtet und nur noch die paar Umsteiger und Ratlosen übrig bleiben. Ich finde den Schlüssel und will mich auf den Weg machen, da spricht mich dieses hübsche Mädchen an, die mir vorher im Zug schon aufgefallen ist. Sie hat ihr ebenso hübsches Baby dabei und fragt mich in gebrochenem Englisch irgendetwas, was ich nicht verstehe.

Es dauert in unserem diffusen Gespräch mit Antworten wie "Yes" auf die Frage "Where do you want to go?" noch eine Weile, bis ich an brauchbare Informationen komme. Aber ich ahne es schon – die beiden kommen aus Äthiopien und sind nicht nur zu Besuch in Deutschland. Dauert auch nicht lange bis man als Gießener diesen Schluss zieht, da Gießen so etwas wie eine Asylbewerber-Zentrale ist, von der aus die Leute, die z.B. vom Frankfurter Flughafen ohne Papiere und ohne Geburtsdatum dort landen auf die Umgebung weiterverteilt werden. Zumindest gilt das für diejenigen, die aus Somalia, Syrien, Afganistan, Iran, Irak, Äthiopien und Eritrea nach Deutschland kommen.

Das was heute in Gießen die Hessische Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge (HEAE) ist, war früher das Lager für diejenigen die aus dem Osten "rüber gemacht" haben. Wer da mehr wissen will, sollte sich umbedingt den Podcast "Staatsbürgerkunde" anhören. Da gab es auch eine interessante Folge zum Aufnahmelager Gießen. Aber zurück zum Bahnsteig...

Ich weiß nun also aus welchem Land sie kommt, dass niemand auf sie wartet, und dass sie kein Zuhause hat. Weiß aber immernoch nicht ob sie zu diesem Asylbewerberheim will, oder zur Polizei, oder genau das nicht. Ich weiß nicht weiter, bin ein bisschen durcheinander und rufe meinen Kumpel an, der als kleiner Junge auf einem ähnlichem Weg nach Deutschland kam. Er hat den ganzen Mist schon hinter sich, den sie vor sich hat, denke ich mir und versuche mir vorzustellen wie diese Erlebnisse wohl aussehen können. Aber ich habe keine Ahung.

Ich dachte er käme auch aus Äthiopien, und könnte sich vielleicht flüssiger mit ihr unterhalten. Aber knapp daneben (aus europäischer Sicht), ist auch vorbei. Er kommt aus dem Nachberland Eritrea. Dem Land, das noch vor ein paar Jahren mit Äthiopien Krieg geführt hat. Und da spricht man andere Sprachen. Ich frage sie, ob sie vielleicht ein bisschen Amharisch spricht. No. Just english.

Und dann kramt sie ihr "Paper" aus der Handtasche auf dem steht, dass sie schon als Asylbewerberin registriert und von FFM nach Gießen übersand wurde, und dass sie noch viel Jünger ist als ich dachte. Wie auch immer... die Frage ob Polizei oder nicht, stellt sich also nicht mehr. Nun frage ich mich aber, warum nicht einer der (ohnehin rund um die Uhr am Bahnhof stationierten) Polizisten auf das Mädchen wartet, die eine so lange Reise mit ihrem Baby hinter sich hat. Das Mädchen, das gerade entschieden hat ihre Heimat, ihr gesammtes Umfeld zu verlassen, um ein neues Leben in einem Land anzufangen, in dem man sich das Foltern von politischen Gegnern nicht mehr vorstellen kann.

Legal oder Illegal?

Und nun sitze ich hier, und frage mich ob ich alles richtig gemacht habe. Ich frage mich: Sollte ein Mensch, der in dieses Land kommt, angesichts der Verhältnisse in denen Asylbewerber hier leben, selbst entscheiden können, ob er legal oder illegal in Deutschland leben möchte?

Das Problem ist, dass niemand ihr die Vor- und Nachteile erklären konnte. Ich könnte nicht mal ansatzweise einen Überblick geben. Ich lebe in diesem Internet über das sich alle Refugee-Camps der Welt austauschen und organisieren und ich weiß einen Scheiss über die Zustände. Ich lese wie weit Refugees bei ihren Protesten gehen und bekomme live mit wie viele Grenzen vom Freund und Helfer überschritten werden um Proteste zu verhindern. Ich weiß nicht viel, aber das was ich über den Umgang mit Asylbewerbern weiß ist weit weg von dem was ich als "normal" bezeichnen würde. Aber vom Kern der Sache habe ich keinen Schimmer.
Das hat mir S. heute klar gemacht.


Was denkt ihr? Sollte sie selbst entscheiden können? Sollte ihr die Entscheidung abgenommen werden, weil sie ein Kind hat? Sollten also nur Kinderlose Frauen selbst entscheiden? Wäre der legale, oder der illegale Weg der bessere? Gibt es irgendeine Organisation ausserhalb der deutschen Ämter, die ich vielleicht besser um Rat hätte fragen sollen? Die Aufklärung betreiben.. irgend sowas?